soma

I.
die gotischen narren haben eyn neues spiel entdeckt. sie essen feuer und brüllen es in den nachthimmel, als ich
unter arkaden entlangschleiche.
ich trage eyne ausse laterne, denn ich will den weg zum schloss finden, ohne von den bütteln bemerkt zu werden.
eyn wind geht vorsichtig über den markt und macht die metallenen schilder über den thüren leise knarren. eyne
blasse frau mit nackten weissen armen steht am brunnen und dreht an eynem grossen rad. sie zieht eynen grossen
schwarzen vogel aus dem schacht hervor und geht, ihn gewissenhaft auf dem rücken tragend, davon.
vom oberen hauptmarkt dringen die schläge der zimmermänner. sie bauen eyn hölzernes gerüst und stellen es
hinter dem rathhaus auf, als sollte die stadt geschmückt werden und befestigt mit eynem anker aus licht.
es ist da eyne schaubude, dorten preist sich eyn mann als unsterblich. er steigt in eynen grossen korb, dann tritt
eyn glatzköpfiger hüne hinzu - ich erkenne in ihm cassander - und sticht mit eynen langen messer durch korb und
mann.
eyn rucken greifft mich an, als der hohe gotische turn eyne stunde bey nacht schlägt.

II.
eyne fontaine aus silbergewordenem feuer durchwirkt den himmel bey nacht.
es ist nicht mehr als eyn schwefelholz genügend, um eyne einfache laterne der welt zum glänzen und erhellen zu
bringen.
eyn hässlicher kleiner mann geht besonnen vom brunnen nach dem rathskeller. er läufft mit durchaus vernünftiger
miene gegen die schwere hölzerne thür, tritt sinnend zurück, geht wieder vor bis an die thür, wo der schwere
schädel verzweifelnd krachend das holz schlägt und die hämmer der zimmermänner zu übertönen willens ist. über
der thür macht der wind eynen metallenen weinkrug im abend knarren.
auf dem markt liegt schweigend die schwarze feder eynes fremden thieres. sie weist nach dem hölzernen gerüste.
eyn grosser mann mit blankem schädel zieht schwitzend eyn rotes bündel aus eynem durchlöcherten korbe.
etwas macht mich aufmerken, als eyn licht am fenster des glockenturmes eilt.

III.
eyn prasseln von flammen nährt meyne ohren, als ich gehe und meyne laterne hochhalte. hinter mir in den gassen
summen die büttel.
mitten auf dem markt steht eyn alter brunnen, der wie eyn schmutziger mund trotzig nach oben blickt. schwäre
miasmen entrücken den steinernen lippen und steigen in die feuererleuchtete nacht.
es ist noch licht im rathskeller. dort sitzen domrath und truchsess und vogdt und lachen zusammen von
gewesenem.
cassander hat angst. er tut eyne fährliche arbeit. klettern muss er in das grosse gerüst hinein, um dort oben eynen
grossen vogel anzubringen. die gotischen narren wollen seyn gefieder am obersten balken festgemacht wissen.
dazu schüttert eyne grosse glocke die lufft.

IV.
schweigend gehe ich an der eisernen pforte zum klostergarten vorbey. von dort hört man das lachen der gaukler
und konkubinen, die im dunkel unter apfelbäumen im gras sitzen und denkwürdiges zu erzählen vermeinen.
drunten im markt steigt bedächtig eyn dunkles aus dem brunnen und geht, verwundert den länglichen kopf
bewegend, den markt hinauf.
der trunkene vogdt tritt aus dem rathskeller in die nachtlufft. in seynen augen glänzt das feuer der gotischen
narren.
cassander hat sich durch einfallsreichthum ausgezeichnet. er hat eyn rundes pendel an dem dunklen gerüste
befestigt. das pendel schwingt nun mit leisem surren und schiebt eyn fahles spiegelbild der mondessichel über den
alten marktplatz.
jemand kommt aus dem glockenturm. als ich unten am turn vorüberkomme, höre ich noch die thür klappen. die
schritte des gehenden verlieren sich in eyner engen gasse.

V.
traurig erklingt das spiel eynes bonang aus dem erkerfenster eynes verfallenden eckhauses im westen der stadt.
gegen diesem haus über treten zween männer aus eynem thor und gehen mit eyner kiste geschäftig nach dem
markte.
vom rathhausturm schiesst eyne feuersäule verloren in den himmel. der scheyn fällt bis auf meyn gesicht.
eyner der händler hat nicht aufgepasst, denn eyne silberne kugel rollt von den schaubuden her den oberen markt
hinunter, bis sie schliesslich an den brunnenrand stösst und dort verharrt.
hinter den klostermauern führt eyne enge gasse an zeughaus und gewandhaus vorüber bis vor zum schlossplatz.
hinter den mauern höre ich noch schellen klingen.
die büttel treten aus eyner seitengasse und blicken sich stumm nach allen seiten um. sie suchen nach dem, der
sich da im glockenturm zu schaffen machte. ich trete schnell hinter eyne brunnenfigur und warte. die figur stellt
eynen adonis vor.

VI.
hinter dem grossen gerüst hört man die gaukler und narren den todt des vogdtes begleichen und beklagen. doch
schnell trägt man ihn in eyner grossen kiste nach dem alten kloster hin.
im späten wasser der brunnenschale kann ich meyn gesicht erkennen. es trägt die schweren züge eynes pierrot,
von eynem phantastischen mondstrahl erhellt.
cassander wischt sich den blanken schädel. er muss eyne grosse kugel über den hauptmarkt nach weit oben
rollen. dort warten GOttes grosse gaukler mit getöse.
es geht eyn dunkles mit eyner laute auf leisen sohlen in eyn eckhaus. das bonang ist verstummt.
die büttel, sagt man sich im schlossgarten unter lachen und jauchzen, seien schon zu alexanders zeiten mit
vergifften pestnadeln durch die städte gezogen und hätten unbemerkt den todt gebracht.
im glockenturn ist eyne wehe stimme.

VII.
als nun eyne laute sanfft erklingt, erwägt pierrot das besteigen des glockenturnes. von dort aus kann er mittels
eyner querbrücke über den markt in den turn des rathhauses gelangen.
da ist von draussen plötzlich eyn klopfen an den nachts verschlossenen thoren der stadt. es ist gleich viel
aufhebens, manch bunter lichtscheyn fällt aus verstimmten schlafkammern in die mohrenen gassen.
cassander verfolgt mit interesse den lauf des pendels. es schlägt ihm für eynen augenblick seyn angesicht
entgegen.
im scheyn des feuers in der nacht ist der truchsess sich uneins. er blickt in eynen himmel voller feuer, ohne sterne.
ich bin als eyn pierrot im glockenturn. in der dunklen treppe bin ich mir noch ruhig, doch als ich auf halbem wege
eyn mondenes fenster erreiche, erschrecke ich vor meyner schönen weissen hand.

VIII.
die glocke schüttert munter die nacht. ihr ton ist wie von der zeit verkehrt.
die lichter der häuser sind in sich wieder verschlossen. ruhe ist eingekehrt, denn niemand verlangt einlass in diese
stadt zur nacht. die laute verstummt.
es geht eyn schatten hinter den hohen fenstern des klosters. später weiss ich, es ist eyn mann mit glöckchen an
seyner kappe, der dorten tanzen muss in seynem wahn.
das fremde hat seynen weg nun bis zu den schaubuden am markt gefunden. von den gauklern ist nichts zu hören.
ich taste nach eyner thür im dunkel, als ich verwegen geküsst werde. man hat pierrot im dunkel des turnes
aufgelauert.
nahezu stille. nur aus dem klostergarten dringt noch eyn androgyner seufzer.

IX.
ich bin im gang über der stadt. man kann hier die nacht sehen und das licht in ihr. es bewegt sich alles um mich
her wie das sonnenlicht unter wasser. es ist mir als eyn GÖttliches aquatisches evangelium.
bedächtig schreite ich weiter in den tunnel über der stadt. meyne schritte sind mir dumpfer rhythmus wie eyn
weiterer athem. und wirklich, etwas wasser dringt durch die gläserne wölbung und netzt mir brust und stirn.
oh wie neben mir die fluten brausen! eyne sanffte woge umspült den rathhausturn. das hat wohl auch der glocke
klang so dumpf gemacht.
es sind nur noch geringe schritte bis zur nächsten thür. ich denke an das dunkel.
es hat mich etwas an beiden ohren gefasst und heimlich geküsst. es ist mir von aussen etwas in die seele gefallen.
verstört berühren des pierrot weisse glieder das feuchte, kalte glas. dann stützt er sich fast sinnlos gegen die thür.

X.
mit grausem schreien stürzt eyner der narren durch die obergassen. seyn blutiges gesicht stürzt die worte oh
GOtt hat uns verlassen! aus.
lachend und einander unablässig küssend eilen die konkubinen vom schlosshof. sie huschen wie eyn obachtener
wind bis an eyn thor am oberen markt und drängen begierig in ihre gemächer.
wie eyne glocke feyn schlägt des truchsess spitzer schuh an eyn butzenfenster über der bäckerstube. leicht wiegt
es sich an und wieder ab. das hat der wind gemacht.
die kemenate des turmes über der stadt ist still und stickig. als der pierrot eyn fenster eröffnet, dringt eyn
entsetzliches flattern und zischen von unten aus den gassen.

XI.
es ist eyn feuerscheyn in den augen des truchsess, eyn leuchtender bogen aus licht.
pierrot hat eyn feuer gefunden und leuchtet damit die kemenate. da stehen mechanische geräte und gebundene
handschriften.
betreten kommen die gaukler aus dem kloster zurücke. sie haben den vogdt dorthin gebracht.
mit rotem hat dort jemand etwas an das mauerwerk geschrieben. oh, eyn wort der verzweiflung!
es kommt noch eyns der mädchen vom schlosse heruntergelauffen. verstört tastet sich die irrgeleitete bis zum
brunnen. dort verharrt sie reglos.
die büttel summen.

XII.
auf die stirn hat es mich geküsst und auf den mund. auf die augen hat es mich geküsst und ist durchs dunkel
gegangen wie in eynen schleier. was soll mir dies bedeuten?
cassander und die lautenspielerin müssen auf geheiss der gaukler den truchsess von der hauswand abnehmen. und
niemand weiss, wer ihm das gethan.
pierrot hat eyn altes buch gefunden. so sitzt er nun auf dem boden der illuminierten kammer und blättert und
blättert.
die arme verstörte hastet durch die engen gassen. der blutig schreiende narr hat sie zum todte erschreckt. sie hat
eyne der schwarzen federn gefunden. jetzt lenkt sie in ihrer noth den zitternden fuss nach dem glocken turn. sie
geht in den turn.

XIII.
der truchsess spricht bedächtig zum vogdt. er sagt ihm etwas ins gesicht.
ich halte an mich die nacht und das dunkel. pierrot liest interessiert. er passt auf. er liest die zeit fort.
die verirrte tritt beinahe verzagend in diesen aquatischen tubus.
die narren stehen auf dem markte und halten ihre hände. sie haben etwas gehört von unterhalb des brunnens. es
war wie betrübtes fallen eyner nadel auf glattgetreten stein. da ist gleichzeitig eyn summen in der athemlufft.
das klingen des klosterthores liegt mir weich im ohr. es erinnert eyne lange zeit.

XIV.
GOttlose versteigerte zeit liegt über von engen erkern überdachten gassen.
der grosse, der grösste gotische narr hat eyne spur gefunden. halben leibes beugt er sich in den brunnen und
taucht die ansterbenden finger ins wasser, zieht sie heraus wie glas aus rotem licht und erstarrt. er will schon
lachen, da trägt man heimlich ihm eyne schweigende schalmei zu.
der truchsess war am dachfirst über der backstube befestigt. der hals hing sich durch eyne schlinge todt und die
geschnabelten schuhe machten eyn klopfen am unteren fenster, das bedächtig durch die finstere gasse in die
oberstadt zieht.
pierrot hat das geheimnis der stadt im buch entdeckt. es liegt im lichte des mondes und in den fluten, die weit
über den dächern und kuppeln hinziehen.

XV.
oh, ich gehe auf in verstörtem fragen und sinnen. da hört pierrot eyn athmen auf der treppe zum turmzimmer.
GOttes grosse gaukler setzen die nacht unter helles feuer. sie sind nun wieder unbeschwert und bieten
unverhohlen die silberne kugel in ihren schaubuden feil.
die kalten füsse der verstörten irrgehenden betreten die marmornen stufen im turm. oh, was schlägt das kleine
herz vor angst. hier ist es dunkel, aber ihre bleiche brust schimmert feyn durch die finsternis. als sie von unten
tritte vernimmt, benetzt sie schon bereitwillig die lippen.
am schlossthor hängt der leblose leib des ersten narren. seyn schädel, vom halse fast abgetrennt von eynen
scharffen messer, baumelt im nachtwind an eyn paar sehnen. dann stürzt er dumpf zu boden.
die konkubinen in ihren gemächern ruhen noch nicht. sie liegen mit feuchter stirn und sinnen über das, was sie da
thun.
der schatten eynes vorbeygehenden huscht über die adonisfigurette am kleinen brunnen.

XVI.
sie entsinnt sich des armen gotischen narrens. oh, was schrie er GOtt zu erbarmen und eilte wie sinnlos durch die
nacht.
dann, aus dem klostergarten kommend, war sie in die breite blutlache getreten.
ohne fackel nichts ahnend liess sie das rote über die bespritzten schenkel rinnen. sanfft ihre knie umschmeichelnd
rann es wieder hinab, und auf dem weg zurück dorthin, in die grosse leblose lache, erregen die perlen so manches
kleine härchen an den bebenden waden. es schlang sich um die feynen knöchel und färbte die bleiche haut in
amüsanter weise um. all das blieb der noch unverstörten verborgen.
sie genoss die rinnenden tröpfchen, die in ihrer wärme wie küsse und liebkosungen feyn die zitternden zehen
umhüllten in geschmeidigter angst.
oh, wie selten erfahrenes für nur trug! die schimmernden sohlen machen keine spuren mehr hier im turm.

XVII.
eyne dicke thür eröffnet feynen dumpfen rauch in der kammer des buches. pierrot, bistu hinter dem schrank
versteckt, wartestu angstvoll mit vorgeschlagenen händen und hörst auf das tappen?
erschrocken bleibt das verstörte mädchen stehen. da folgen ihr doch blutrote sohlen auf dem marmorstein?
GOttes grosse gaukler machen sich unter frohlocken und jubilieren auf nach den kemenaten. sie suchen nach
abwechslung für die lange dunkle nacht.
mit weit aufgerissenen lippen stürzt der domrath durch die gassen. er weiss von etwas fährlichem.
verwaschene augen lauffen der konkubine über die blassen wangen, der ehmals verküsste mund murmelt nur
vorsintflutliches gewäsch. dabey tastet die hand noch so hilflos dahin.
cassander hört ihren athem. cassander hört athmen und merkt auf.

XVIII.
verdutzt halte ich inne, als jemand behutsam eyn totem quer über den oberen markt trägt. eyne fährliche arbeit
bey dunkler nacht.
pierrot zieht besonnen eyne an den seiten etwas abgegriffene wahrheyt aus eynem der dicken bücher hervor und
seufzt. dort steht auch beschrieben, wie die konkubinen dem rausch ihrer sinnlichkeyt erliegen, wie die gotischen
narren noch alle an ihr leben lassen müssen. und wohin fällt das meer aus dem himmel.